Tinas heimliches Tagebuch by H. E. Seuberlich

Tinas heimliches Tagebuch by H. E. Seuberlich

Autor:H. E. Seuberlich [Seuberlich, H. E.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3414142309
Herausgeber: Boje-Verlag, Stuttgart
veröffentlicht: 1981-04-14T22:00:00+00:00


Die „gnädige Frau“ im Mülleimer und Tina hinter Gittern

Peter-Paul-Str. 5. Da wohnten wir jetzt. Am Ende einer bananenförmigen Sackgasse mit mehreren Neubauten nebeneinander, die auf dieser Straßenseite zum Teil erst als Rohbau hochgezogen wurden oder gerade das Richtfest hinter sich hatten. Auch Nr. 5 war ein Neubau, zweieinhalbstöckig, mit großem Keller und ausgebautem Dachgeschoß, ein Haus für zwei bis drei Familien vielleicht.

Aber wer wohnte nicht alles darin!

Schon am ersten Abend, als wir eintrafen, erfuhren wir einiges darüber. An der Tür empfing uns die Hausbesitzerin, ziemlich beleibt, Lockenwickler im Haar, Pantoffeln an den Füßen und in einem buntgeblümten Bademantel.

„Unsere neue Wirtin — das ist sie“, flüsterte mir Mutter für alle Fälle noch einmal zu. Mutter hatte mir ohnehin schon vorher eingeschärft, zu unserer Wirtin aufmerksam, nett und höflich zu sein. Denn in dieser Gegend möblierte Zimmer zu finden für zwei Personen, die wie Mutter und ich zusammenleben und sparen mußten, das war fast wie ein Zauberkunststück, das nur mit viel Geduld und Glück gelingt.

„Wir haben hier keinen Kündigungsschutz“, hatte mir Mutter erklärt.

So zeigte ich mich, wie ich meinte, der Wirtin gleich von meiner besten Seite, als ich sie mit Schmusworten begrüßte.

Aber die Dicke mit den Lockenwicklern wollte davon nichts hören.

„Ich bin keine gnädige Frau, Kindchen. Die kannst du bei mir in den Mülleimer werfen. Die brauchen wir nicht. Aber damit du gleich weißt, wer ich bin: Ich bin die Frau Schmitz. Schmitz wie Schmitz — uralter rheinischer Adel, verstehst du? Und mein Mann ist der Herr Inspektor — das heißt, seit gestern Oberinspektor. Um ganz genau zu sein; er ist der Regierungsoberinspektor Schmitz mit Ministerialzulage im BMWo, den alle dort kennen, weil er im Ministerbüro sitzt. Und Sie sollten mal sehen, wie selbst Ministerialräte vor ihm den Hut lüften, wenn sie einen auf haben — das sollten Sie sehen, Frau Roesch! Die wissen schon warum. Eines Tages, sobald Sie’s brauchen, werden wir auch für Ihren Architekten etwas in der Bauplanung finden. Mit Ministerialzulage und so. Da machen Sie sich keine Gedanken, Frau Roesch. Wir haben hier das Haus immer voll mit verschiedenen Ministerialen, die noch keine Wohnung haben, aber Hinz und Kunz kennen. Das ist wichtig, wissen Sie? Wer niemand kennt, der wird auch nichts! sagt mein Mann, seit wir gebaut haben — mit Hilfe der Ministerialzulage, wissen Sie? Aber die reicht natürlich nicht. Deshalb vermieten wir ja. Auch jetzt haben wir das Haus wieder ganz voll.“

„Und wo, Frau Schmitz, können Sie uns beide unterbringen?“ fragte Mutter vorsichtig.

Endlich unterbrach sie den Redeschwall der dickleibigen Wichtigtuerin. Ich hätte sie am liebsten sofort unter Wasser geschossen, so unerträglich war mir ihr Gequassel. Um ihr gegenüber höflich zu bleiben, würde ich höllisch aufpassen müssen.

Und was sie jetzt wieder sagte!

„Ja, liebe Frau Roesch, vorläufig kann ich euch nur im Keller unterbringen...“

Euch! sagte sie zu uns. Als wäre Mutter eine Duzfreundin von ihr! Liebes Tagebuch, wie ist Mutter überhaupt an diese Person herangekommen? Und wie soll es mit ihr weitergehen? Ich fange an zu begreifen, was es heißt, zur Untermiete zu wohnen...

Aber was heißt „wohnen“?!

Frau Schmitz führte uns in den Keller.



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